Dmitrij Glukhovsky: Outpost - Der Posten. (2016)

 

Einmal mehr legt Dmitrij Glukhovsky einen dystopischen Text vor. Und erneut hat man nicht den Eindruck, als ob darin das Moskauer Russland nur Opfer wäre. Sondern mitverantwortlich für den eigenen Untergang. Und erneut sitzt bei Glukhovsky das Herz des Übels im unheimlichen Moskauer Kreml - nirgendwo anders!

 

Russland in naher Zukunft, vielleicht nur 10 oder 15 Jahre voraus. Ein furchtbarer Bürgerkrieg, Aufstände gegen das Moskauer Zentrum haben das Land verheert und vollständig zerrissen. Auch schwere Waffen einschließlich Bio- und chemische Waffen wurden eingesetzt. Ein Großteil der Bevölkerung ist umgekommen. Inzwischen hat sich die Lage um Moskau herum auf niedrigem Niveau stabilisiert. Reste der Bevölkerung vegetieren in festungsartigen Fabriken oder Siedlungen, während die Städte weitgehend verlassen sind und verfallen. Die Natur hat sich Terrain zurückgeholt. Die Landwirtschaft muss mit vergifteten Böden und saurem, ätzenden Regen zurechtkommen. Sie vermag sich nur kümmerlichste Ernten zu ertrotzen. Moskau selbst bietet angeblich wieder lebenswerte Verhältnisse, was allerdings auch nur Gerüchte sein könnten. Zumindest sind der Zar un seine Junta (!) in der Lage, Kosaken-Verbände mit guten Waffen und bester Verpflegung ausrüsten und über die eng gewordenen Grenzen zu schicken, um jenseits davon erneut "russische Erde" zurückzuerobern.

Eine Grenze verläuft ostwärts an der Wolga. Ein völlig vergifteter, toter Fluss, dessen Wasser Verätzungen hervorruft und dessen jeweils gegenüberliegendes Ufer wegen dichter, tödlicher Nebelschwaden verborgen bleibt. Ohne Gasmaske sind auch die wenigen nicht gesprengten Brücken unüberwindbar.

 

Ein Grenzposten mit gut 200 Bewohnern befindet sich nahe Jaroslavl. Kommandiert wird er vom derben Polizisten, Kriegsveteranen und illusionslosen Trinker Polkan (erinnert an "Polkovnik" = Oberst bzw. "polk" = Regiment). Er sichert eine Eisenbahnbrücke, über die allerdings seit vielen Jahren schon kein Zug und auch keine Person mehr gekommen ist. Verheiratet ist er in zweiter Ehe mit Tamara, einer Romni (Zigeunerin) - einer sehr religiösen Frau, die jedoch seherisch begabt ihren Mitbürgern die Karten legt oder anderweitig hilft. Aus ihrer ersten Ehe bringt sie Jegor mit, den sie - weiteres Unheil witternd - ängstlich hütet und von sämtlichen "Abenteuern" fernhält. Obwohl v.a. sein Stiefvater Polkan großen Raum einnimmt und recht intensiv gezeichnet wird, erscheint der siebzehnjährige Jegor doch als Hauptfigur - wohl auch, weil der Kurzroman als Jugendbuch eine Identifikationsfigur für die Zielgruppe benötigt. Fragt sich, ab wann Glukhovsky schwante, dass es eben eher ein Jugendbuch werden würde ...

Der verträumte, eher kindliche Jegor hat nur seine Gitarre, den Traum von einer Band und v.a. die schöne Michelle im Kopf. Sie ist eine immerhin schon 24-jährigen Moskauerin, die jedoch weder von ihm, noch von den anderen "Dörflern" etwas wissen möchte. Frustriert trauert sie ihrem früheren (privilegierten) Leben in Moskau hinterher. Sie kann sich noch an die goldenen Zeiten vor dem Kriege erinnern.

Die Posten-Siedlung erfährt von Moskau kaum Unterstützung, selbst die letzte Lebensmittellieferung liegt lange zurück. Die Menschen hungern. Auch die benachbarte ländliche chinesische Kommune (!) kommt nur schwer über die Runden. Gelegentlich wird eine bewaffnete Abteilung dorthin entsendet, um eine Art "Zehnt" einzutreiben: dürftiges, halb verdorbenes Gemüse, Obst und Fleisch. Der Kontakt zu anderen, entfernten Siedlungen bzw. nach Moskau läuft über Kabel. Funk oder gar Internet gibt es nicht, wäre auch nicht sicher vor Abhörversuchen bzw. sonstigen Hackerangriffen.

 

Entgegen der Wahrnehmung einiger Leser nimmt sich der Autor m.E. sehr viel Zeit für die Charakterisierung der Personen und der Beschreibung des Millieus, der Erzeugung der besonders düsteren Atmosphäre. Dazu tragen erheblich die guten, lebensnahen, meist derben Dialoge zwischen den Bewohnern bei. Hochachtung vor den beiden Übersetzerinnen!

 

Eines Tages kommt nun doch ein geschundener Mensch von jenseits des Flusses über die Brücke: ein scheinbar verwirrter, gehörloser Priester Daniil, der - nach "Wiederherstellung und Genesung" - ständig davon erzählt, dass Gott nun endgültig die Welt verlassen habe, sich die Menschen dennoch seinen Geboten beugen und den teuflischen sieben Todsünden entsagen sollen. Besonderen Wert legt er auf das Fasten. Er will unbedingt nach Moskau, was jedoch der misstrauische und (bauern-)schlaue Polkan verhindert. er sperrt ihn ein, ohne zu verhindern, dass er vom Fenster aus predigt. Vielmehr fordert Polkan von Moskau Anweisungen, wie weiter verfahren werden soll. Da man nun weiß, dass jenseits der Wolga etwas existiert, entsendet Moskau eine kleine Kompanie gut ausgerüsteter Kosaken zum Stützpunkt, die von dort Richtung Ural und Sibirien vordringen soll um die Lage zu erkunden und ggf. wieder Gebiete und inzwischen gegenüber Moskau wieder loyale Menschen an das Reich anzugliedern.

Die Posten-Einwohner, davon zunächst nichts ahnend, bewirten die Moskauer Soldaten mit ihren letzten Vorräten um diese dann mit ihren üppigen Reserven fortziehen zu lassen. Auch Michelle ahnt nichts vom Auftrag der Kosaken, sondern erhofft sich vom schmucken Anführer die Heimkehr nach Moskau. Sie lässt sich also für eine Nacht mit Hauptmann Alexander "Sascha" ein. Und wird prompt geschwängert.

 

Da Michelles Handy den Geist aufgibt, mit seinen gespeicherten Bildern und Videos ihre einzige handfeste Erinnerung an Moskau, an die alte Zeit und an ihre Familie, bemüht sich der deplatzierte, chancenlose Jegor um Ersatz. Um dennoch bei ihr punkten zu können. Zieht suchend durch das verlassene Jaroslavl, dass nie ganz von den Toten geräumt wurde. Noch bevor die Kosaken aufbrechen, treibt es Jegor bei einer seiner frustrierten privaten Fluchtaktionen aus der nervenden Familie auf die Brücke. Am anderen Ende findet er im Nebel hunderte frische Leichen, die offensichtlich in Panik vor etwas über die Brücke fliehen wollten und sogar die Kinder am Ufer im Stich ließen. Bei einer Frau entdeckt er ein funktionstüchtiges Handy, dass er aber - heimgekehrt - nicht entsperren kann. Ihn interessiert, ob sich auf dem Gerät Hinweise auf die Katastrophe finden würden, will es dann aber nach Klärung von seinen Kumpels löschen lassen und neu aufgesetzt seiner Traumfrau schenken.

 

Vater Daniil verschweigt offensichtlich das grauenvolle Massaker auf der Nebelbrücke und verhindert nicht die Expedition der Kosaken. Aber auch Jegor fürchtet sich vor Offenlegung seiner verbotenen Aktion und lässt die Kosaken ungewarnt (in den möglichen Untergang) ziehen. Nur seine ahnungsvolle Mutter möchte dies (ebenso natürlich wie Michelle) verhindern, wird jedoch vom Ehemann Polkan öffentlich und in demütigender Weise daran gehindert. Er verrät damit seine Ehefrau.

 

Die düstere Atmosphäre verdichtet sich. Als der Hunger größer wird, entsendet Polkan einen Trupp zur chinesischen Sowchose, um wenigstens ein paar Lebensmittel zu holen. Allerdings findet die Abteilung nur noch ein leeres Dorf vor. Die Hunde, welche der Hunger in wilde Bestien verwandelt hat, werden erschossen. Ergebnislos kehren die äußerst beunruhigten Männer zurück.

 

Da Jegor das Handy nicht entsperren kann und sein Misstrauen gegenüber dem Priester wächst, begibt er sich erneut auf die Brücke: Die Toten sind inzwischen von den Gleisen ordentlich auf die Seite geräumt worden (die Kosaken?). Tatsächlich findet er die ehemalige Besitzerin wieder. Ihm gelingt die Entsperrung mittels Geburtsdatum eines ihrer Kinder (via Ausweis). Doch bevor er den Inhalt des Smartphones prüft, begibt er sich - neugierig - ganz auf die andere Seite des Flusses und beobachtet dort mit Grauen, wie aus den Wäldern pausenlos hunderte, scheinbar willenlose Menschen ohne Schmerzempfinden still in den ätzenden Fluss steigen, um ihn schwimmend oder gehend zu überwinden - und dabei unweigerlich sterben.

Panisch macht er sich auf den Rückweg, erwacht aber erst nach Wochen wieder im Spital: Seine undichte Gasmaske hatte giftige Dämpfe durchgelassen, die ihn beinahe umbrachten. Handy und gefundenen Pin-Code scheint er verloren zu haben. Dafür erfährt er, dass sich seine Kumpel (die das Handy knacken sollten) in einer von innen zugesperrten Garage gegenseitig bestialisch umgebracht haben ...

 

Jegor versucht das Telefon zu finden bzw. bemüht sich verzweifelt, Polkan und andere Bewohner vor der großen Gefahr und dem verdächtigen Priester zu warnen. Doch inzwischen hat jener die Gemeinde fast vollständig für sich gewonnen. Die Menschen stehen kurz vor einer Revolte gegen Polkan. Jegor kann nachweisen, dass die beiden sich gegenseitig getötet habenden Freunde das Handy an sich genommen haben müssen und vielleicht dort etwas vorfanden, das diese in den Tod trieb. Der volltrunkene Polkan, Jegor und ein paar Männer begeben sich auf die Brücke, um das Rätsel zu lösen.

Da kommt ihnen auf der Brücke ein langer Passagierzug entgegen! Er wird vor der Brückenausfahrt gestoppt; nur die erste Lokomotive erreicht das diesseitige Ufer. Die Mannschaft erweist sich als taub, der Zug ist verplombt. Ungeachtet der Bitten und Bestechungsversuche der Mannschaft (die Fleischreserven der Kosaken ...) lässt Polkan den angeblich mit "Typhuskranken" besetzten Zeug nicht "über die Staatsgrenze". Er verlangt von Moskau Entscheidungen, die aber aus Feigheit, Verantwortungslosigkeit oder Unfähigkeit nicht kommen. Schließlich muss er selbst entscheiden. Nachdem er zunächst die Weiterfahrt verhindert, indem er die Gleise abmontieren lässt, meutert die vom eingekerkerten Priester Daniil aufgewiegelte Bevölkerung. Polkan wird quasi abgesetzt. Dem Zug wird aus Barmherzigkeit für die Kranken die Weiterreise nach Moskau ermöglicht.

 

Nun eskalieren die Ereignisse:

Polkan beauftragt einen Trupp (befehligt von Michelles Großvater) mit der Sprengung des Zuges auf der Brücke. Das geht schief, die Truppe wird von den "geweckten" Zuginsassen getötet. Und Michelle, die dem Trupp folgte, entgeht selbst nur knapp dem Tod: Sie entdeckt durch ein freigekratztes Fenster ihren Liebhaber, den Kosaken Sascha und andere offenbar dem blutigen Wahnsinn verfallene Menschen, die drauf und dran sind, auszubrechen. Ein irgendwie magisches, gesangartiges Murmeln lockt Opfer an, verwirrt sie, verwandelt sie in blutdürstige Monster und treibt sie in selbstmörderisches Handeln.

Michelle wird gerettet, indem ihr die tauben Zugbegleiter die Trommelfelle zerstören. Gleichzeitig lassen sie pausenlos die Zugsirene heulen, um das gefährliche Gemurmel der Zuginsassen zu übertönen.

 

Jegor weiß inzwischen, dass die Insassen unheilbar an einer Psychowaffe erkrankt sind, die Moskau einst im Kriege gegen seine Feinde einsetzte, damit jene sich gegenseitig zerfleischen. Sie besteht aus einer Folge mehr oder weniger verständlicher Worte, Sätze, Silben, die einen unglaubliche Anziehungskraft ausüben und einmal vollständig gehört / ausgesprochen den Geist der Empfänger verheeren und zur Bestie werden lassen, die weder andere noch sich selbst verschont. Einmal infiziert, geben die vertierten Menschen ihre Botschaft wie ein "Satansgebet" an andere weiter und so fort. Bis zur völligen Auslöschung.

Die verzweifelten und verbitterten Priester, die in ihren Klöstern jahrelang erfolglos die Heilung versuchten, hatten erfahren, dass es Moskau noch gibt und wollen nun die Waffe an ihren Ursprungsort zurückbringen, damit sie nun dort ihr Werk vollende. Ein Akt gerechter Rache und Strafe.

 

Tamaras selbstmörderischer Stoppungsversuch scheitert gleichfalls, aber Polkan bringt mit einer Finte den Zug zur Entgleisung - allerdings schon auf dem diesseitigen Ufer. Einigen Zuginsassen gelingt der Ausbruch aus den umgestürzten, brennenden Waggons. Ein Gemetzel bricht los. Auch Polkan wird infiziert aber mit dem Priester eingesperrt. Den er dort erledigt.

 

Letztlich überleben nur die taube Michelle und der sich ebenfalls das Gehör (und damit seine Träume) zerstörende Jegor und einige Kinder (denen während des Schlafs gewaltsam die Trommelfelle durchstochen werden). Jegor übernimmt die furchtbare Aufgabe, alle überlebenden Zuginsassen in den Waggons zu erschießen - hunderte, vielleicht tausende. Moskau hat das Verbrechen verursacht, weigert sich, dafür geradezustehen oder das Problem zu lösen. Und ausgerechnet der verträumte Halb-Zigeuner und Musiker muss es lösen und dabei selbst zum Massenmörder werden!

 

Wie es weitergeht bleibt unklar ...

 

 

Einige Leser beklagen in Foren oder Kommentaren zum Buch, die Figuren gingen nicht in die Tiefe und verweisen dann ausgerechnet auf die Mutter des Protagonisten, der Romni Tamara. Damit verdeutlicht sich sogleich, was diese Leser als "tiefgründige Charakterzeichnung" verstehen: einen irgendwie mystischen, rätselhaften Menschen, gern mit magischen Fähigkeiten, über den sie also gern mehr erfahren hätten.

Tja: hier liegt also eine Verwechslung vor! Supermenschen mit Superkräften und Magie aus der "Marvel-Welt" als Ausweis von Tiefgründigkeit? Oh, bitte nein.

 

Mich interessierte die Mutter zunächst eigentlich wenig. Mich beschäftigte eher die Person des Adoptiv-Vaters, des sehr ambivalenten Polizisten Polkan. Dessen Beschreibung empfand ich als sehr realitätsnah. Solche Typen begegneten auch mir in Russland häufiger. Die Mutter mit ihren magischen Talent, ihrer Hellseherei und Vorahnungen, die "Hexe" fand ich dagegen nicht spannend. Sie wird auch deutlich "schmaler" porträtiert als Polkan. Selbst den Großeltern Michelles wird mehr Platz eingeräumt. Erst nach der Lektüre sah ich in ihr eine Person mit besonderer Rolle in der Siedlung: als Nicht-Russin: Sie vertritt hier wohl diskriminierte Minderheiten, die vielen nichtrussischen Völker in Russland, die eine besondere Antenne für Unstimmigkeiten in der Gesellschaft, für heraufziehendes Unheil haben - für Rassismus, Diskriminierung, Zwist, Pogrome, ethnische Säuberungen. Ein dickhäutiger selbstgefälliger russischer "Mehrheits-Einfaltspinsel" ist da oft taub. Vergleichbares findet man sicher auch in Deutschland. Ich sehe hier also eine Metapher, aber keine wirkliche Magierin! Und gerade dieser Mensch erkennt das "Böse" und opfert sich zu dessen Abwehr bis zum Tode auf. Zum Schutz auch Moskaus. Kann man von den meisten anderen russischen "Helden" dieses Buches nicht behaupten. Zudem wird dieser Mensch, der sich, sozusagen, dem hemdsärmeligen, groben Russen Polkan vertrauensvoll hingibt, von diesem aus Unverständnis schließlich verraten.

Was das wohl sagen will?!

 

In eine ähnliche Richtung des Missverständnisses bei einem Teil der Leserschaft, der wohl eher Fantasy liest oder diese als Film oder Game sieht, geht ein anderer Aspekt. Er betrifft die allg. Sicht auf den Handlungsverlauf, den Spannungsbogen: dessen Einschätzung als "langweilig", "wirr", "offen gebliebene, unbeantwortete, eher in die Irre führende Episoden" u.ä. Auch das kann ich nicht nachvollziehen: Alles scheint mir an seinem Platz! Was wird hier erwartet? Große Spektakel, Action, bis ins letzte Komma erklärte, aufgelöste Sachverhalte? Damit der Leser auch ja nicht selbst denkt oder interpretiert! Was soll daran schlimm sein? Nein, es gibt auch hier keine einfachen und bequemen Lösungen.

 

Als Beispiel wird hier öfters der Ausflug in die benachbarte chinesische Sowchchose genannt, um dort Lebensmittel einzutreiben! (Hier wird übrigens nicht gehandelt: Mehrfach und deutlich wird beschrieben, wie die russische Siedlung, gleichsam wie Schutzgelderpresser, der "Schlitzaugen" kärgliche landwirtschaftlichen Produkte raubt und deren Frauen als Prostituierte missbraucht.) Der Trupp findet die chinesische Siedlung zum eigenen Entsetzen fluchtartig verlassen vor. Später, fast am Ende der Story, stellt sich heraus, dass sich die Bewohner in eine andere Siedlung näher bei Moskau begeben hätten.

Was soll an dieser Auflösung unbefriedigend sein? Es passt zum Bild der o.g. Zigeunerin: Anders als die Russen erspüren die Nichtrussen als offen benachteiligte, diskriminierte und ausgebeutete Minderheit sehr früh die Bedrohung, das Unheil und wandern ab! Weil auch sie sich von de Russen im Stich gelassen und verraten fühlen. Die Episode ist also kein Zufall oder einfach nur so eingeschoben, um den Roman zu strecken. Auch nicht nur, um die unheilvolle Atmosphäre zu vertiefen. Auch sie ist wohl ein weiterer Schlüssel zum Decodieren.

 

Zum Schluss wird der Autor nun wirklich sehr deutlich und dechiffriert in fast schmerzhaft enttäuschender Überdeutlichkeit. Und wird offenbar immer noch nicht verstanden. Ja, was soll Glukhovsky eigentlich noch zum Verständnis anstellen?

 

Das war nicht "irgendein" Krieg, der Russland hier zerriss, sondern ein brutaler Bürgerkrieg mit Einsatz von Massenvernichtungswaffen! Die Moskauer Zentrale, sinnigerweise als despotisches Zartum beschrieben, setzte dabei furchtbarste Waffen ein - gegen die eigene aufständische Bevölkerung. Es findet sich nirgendwo ein Hinweis, ein Wort auf ausländische Feinde.

Auch die Art der hier eingesetzten, o.g. Waffe gibt zu denken: Das "Satansgebet" ist eine Psychowaffe zur geistigen Zerrüttung der Gegner, die sich dann selbstzerstörerisch gegenseitig umbringen. Moskau muss dann nur abwarten, bis Ruhe ist. Kann auch so tun, als hätte es mit der Selbstzerfleischung in den anderen Teilen des Landes nichts zu tun. Obwohl es diese doch geplant und hervorgerufen hatte! Schlussendlich gliedert dann die vermeintlich friedfertige Ordnungsmacht "abtrünnige" Gebiete wieder in sein Reich ein.

 

Alles ersponnen? Keine Assoziationen? Wie wäre es mit dem Zerfall der (russisch dominierten) Sowjetunion und anschließender Zerfallsprozesse Russlands? Da wäre z.B. der Kaukasus ... Und was ist mit der unrühmlichen Rolle in der Manipulation, massiver propagandistischer Desinformation, des Zwietracht-Säens - auch mittels moderner Massenmedien Rundfunk, TV und diverser internetbasierter Socialmedia-Plattformen? Kommen uns Lesern nicht die Troll-Angriffe in den Sinn, die in ehemaligen Sowjetrepubliken oder mittlerweile auch in USA und Westeuropa Länder destabilisieren sollen? Sind das nicht auch Hypno- oder Psycho-Waffen? Muss man nach dem Projekt "Zerstörung der Ukraine" - gern auch von innen heraus - noch lange überlegen? Die im Roman beschriebene Waffe zur "hassenden Sprach- und Geistesverwirrung" via Handy bzw. Predigt und "Zuquatschen" ist doch eine eher simple Metapher. Diejenigen, die die Gefahr erkennen, zerstechen sich hier die Trommelfelle und machen sich taub, um sich nicht zu infizieren und zu zerrütten. So sollten es doch vielleicht auch wir in unserer Realität tun: Hass-Propaganda ignorieren, sich dagegen eben taub stellen. Zweifellos kann man darüber diskutieren, ob das nun der richtige Ausweg sei. Es ist aber eine Option, wenn man sich des Übermaßes an Falschmeldungen nicht mehr erwehren kann, zumal keine Alternative verfügbar ist. Da wäre Verweigerung, passiver Widerstand, ein "ich glaube denen kein Wort" vielleicht besser.

 

Was schützt in "Outpost" vor dem Feind und dem wutentbrannten Rächer? Die verseuchte, vernebelte Wolga-Wand! Sie entzieht den Russen den klaren Blick auf die Nachbarn (denen man Unrecht und Verbrechen antat) und diese entzieht auch den überlebenden und wütenden Opfern / Menschen außerhalb den klaren Blick auf das russische Zentrum. Das wieder erstarkt (erscheint), einfach weitermacht und erneut zur Eroberung aufbricht.

Warum habe ich bei der Schilderung der vernebelten Wolga-Wand eigentlich immer an eine Firewall gedacht? Den Versuch, sich nach Außen (vor der weiten Welt, der Wahrheit) abzuschotten! Weil es hier - in diversen Bildern wiederholt - um die unselige Rolle auch von Medien in hybriden Kriegen geht. Aber diese Firewall ist nicht wirklich sicher: Die Opfer, die zu Monstren gemachten Opfer kehren zum Verursacher des Übels zurück und bringen die Waffe "heim". Moskau soll an den eigenen Teufeleien, dem selbst gesäten Hass zugrunde gehen. Und natürlich erkennen dies die Herrenmenschen, die Moskauer Russen später als die von ihnen unterdrückten Völker oder gar Andersdenkende. Ein Wunder, dass es - auch hier - wieder einmal glimpflich davonkommt. Wo doch der Autor bitter-genüsslich die komplette verkrustete Unfähigkeit, Faulheit, das Desinteresse der Behörden ausbreitet: Das fette Moskau erhebt nur herrisch Anspruch, gibt aber nichts, hilft nicht: Es versorgt den Stützpunkt an der Grenze weder mit Waffen noch mit Lebensmitteln, kann auch auf keiner Ebene Entscheidungen treffen. Alles ist der Loyalität tatkräftiger Bürger überlassen, die vollständig im Stich gelassen werden. Nur verächtlich angesehene Subjekte wie der eher einfältige Tollpatsch Polkan, die Zigeunerin Tamara, der lange Zeit trottelige Bursche Jegor, ein moderner "Iwanuschka" retten Moskau. Was es nicht verdient hätte. Warum tun dies diese Menschen für das extrem unsympathisch gezeichnete Moskau? Vor allem, weil die (von Moskau produzierte) Gefahr von Außen noch größer erscheint, als die, die aus dem Kreml droht. Zumindest wohl aus Sicht derjenigen, die keine Trinker oder naiven Grobiane sind.

 

Ein pageturnerndes Jugendbuch (oder doch zu brutal dafür?) als Parabel auf das heutige Russland und seine zerstörerischen Handlungen in hybrider Kriegführung gegen seine Nachbarn (die früher zum Sowjetreich gehörten) und seine eigenen Bürger, woraus zwangsläufig verzweifelt hassende Monstren geboren werden, die sich unweigerlich gegen die Moskauer Zentrale, seine Oberschicht selbst wenden werden. Überspitzt - eine Warnung: Wendet euch ab vom "Satansgebet" aus Moskau, seid kritisch, stellt euch taub gegenüber einlullender aber letztlich doch Hass-Propaganda aus den Medien. Schaut hinter den Vorhang, hinter die angebliche Brandmauer. Zumal diese herrschende Regierung euch verachtet und absolut nichts für euch tut!

Glukhovsky vollendete den Roman 2016 - keine zwei Jahre nach der "Krim-Angliederung" - voll auf dem Höhepunkt der militärischen und propagandistischen Auseinandersetzungen mit dem "Bruder" Ukraine. Als Journalist kennt und kritisiert er die "Szene". Er arbeitete selbst für "Russia Today". Und er analysiert und kritisiert scharfsinnig und hart die Politik Putins und seiner Gehilfen, insbesondere die Manipulation der russischen Medien und die Rolle der unseligen Internet-Troll-Armeen.


Na schön: Wer mag, kann auch allgemein über "von uns" in andere Weltregionen getragene Kriege und Hass nachdenken. Die dort Opfer produzieren, welche sich nach Zerstörung ihrer Welt in "unsere" Richtung flüchten. Einige von ihnen als Rächer, unsere eigenen exportierten Waffen im Gepäck ... Schließlich spielt sich Glukhovskys Story an der Grenze ab, die von außen bedrängt wird.