Mircea Eliade: Fräulein Christine. (1936)

Das Hauptwerk Mircea Eliades liegt im wissenschaftlichen Bereich: der bedeutende Religionsphänomenologe erforschte insbesondere Schamanismus und Ekstase-Techniken, u.a. auch den Yoga. Erst seit jüngster Zeit werden seine Arbeiten und Theorien dazu kritisiert. Und man schreibt seine Interpretationen mehr und mehr seiner schriftstellerischen Phantasie zu - zumal er eben auch Literat war und gern phantastische Sujets verwendete. Vor allem Esoteriker und Neo-Schamanen berufen sich noch immer auf ihn.

 

Auch in der Novelle "Das Fräulein Christina" nimmt einen Mythos auf - die typisch rumänische Vampir-Legende - echte Folklore.

Der zunächst etwas arrogant-dandyhaft erscheinende Bukarester Maler Egor Paschievici verbringt auf Einladung der jungen Frau Sanda Moscu (die er in der Hauptstadt kennenlernte) einige Wochen in der ländlichen Villa der Familie Moscu. Es ist September 1935, in der Donau-Ebene - aber etwas abseits des großen Flusses. Darf man auch als Metapher deuten …

Die Villa war Zentrum eines ehemaligen Landgutes der Moscus. Allerdings ist das Land längst an die Bauern verteilt, die ehemalige Bojaren-Familie weitgehend ohne Macht. Sie betreibt das Anwesen wie ein Hotel und verdient an den Sommergästen. Allerdings scheinen sich diese nicht so recht wohlzufühlen: Sie verlassen schnell die Herberge, es werden immer weniger.

Die Familie besteht nur noch aus drei Frauen: die stets ermattet und geistesabwesend wirkende Mutter, ihre ca. zwanzigjährige, lebensfreudigere Tochter Sanda und die erst neunjährige, aber überaus frühreife, altklug-zynische Tochter Simina, die sehr schnell Keime eines unnatürlich frühen nymphomanisch-pervers-sadistischen Charakters erkennen lässt.

Außerdem beherbergt die Familie den Archäologen Nazarie, der in der Nähe Ausgrabungen durchführt. Er erforscht die Historie - und sollte sich also am ehesten auch mit dem geistigen Erbe auskennen. Nicht wahr? Nicht nur die überkommenen Steine, Scherbe und Perlen aus einer SEHR fernen, vermeintlich heroischen Geschichte deuten ...

 

Zunächst hält Egor den Nazarie für einen trockenen, geistlos-steifen, lebensuntüchtigen Historiker. Sich selbst sieht er als modernen, freigeistig-offenen, musisch-sensiblen Urbanen. Doch noch bevor sich seine arrogante Verächtlichkeit äußert, erkennt er überrascht in Nazarie einen durchaus rationalen, sympathischen, nachdenklich-genießenden Zeitgenossen.

Schnell bemerken die Männer, dass etwas im Hause nicht stimmt: die kleine Simina zeigt sich biestig und bringt die Herren auch rhetorisch wiederholt in Verlegenheit, und demonstriert damit ihre Überlegenheit. Sie verweist stets auf ein Fräulein Christina, die Schwester ihrer Mutter, welche bei den Bauernunruhen des Jahres 1907 ums Leben kam und ihr oft im Traume erscheine. Außerdem maßregelt sie Mutter und Schwester Sanda. Insbesondere Sanda wirft sie drohend vor, Christina vergessen zu haben.

Sie erzählt also von Träumen und von Märchen sowie Legenden, die ihr eine (seltsame, frech wirkende) Amme angeblich erzähle. Sanda zeiht sie verärgert der Lüge. Und hat im Grunde Recht damit: Es sind keine Träume, sondern das Erscheinen Christinas in der Nacht "Realität" und auch die "Märchen" wurden nicht von der Amme erzählt, sondern haben reale Hintergründe, entstammen dem Kopf (und Erleben) von Simina.

 

Szene eines Abendessens: Das Essen ist furchtbar: kümmerlich bzw. gar kalt und offenbar angegammeltes Fleisch. Dennoch vertilgt die sonst kulturvolle Mutter (wenig später wird sie demonstrativ Gedichte vortragen ...) das Essen wie ein wildes Tier. Wird geschildert wie Horror. Später übrigens auch so verfilmt. Womöglich wurde alles Tier im Dorf vergiftet? Von Blutsaugern ausgelaugt? Man hat nichts anderes, aber Mutter verschlingt es mit wilder Gier.

Aber wie wäre diese, rationalere (Um-)Deutung: Die ehemalige, nun landlose Gutsbesitzer-Familie ist schlicht verarmt und DESHALB, und wegen ihrer Isoliertheit von der dörflichen Gemeinschaft und wegen eines ohnehin entsetzlich hitzigen, auszehrenden Sommers (und jetzt Mückenschwärme im Herbst) leidet sie eben Hunger. Deutlich sichtbar an der Mutter, die sich beim Essen (vor Hunger?) nicht im Griff hat.

 

Die Männer bekommen es mit der Angst zu tun, v.a. als Egor nächtens von Christina besucht wird. Zunächst will die Untote ihn nur - wie bei ihr offenbar üblich - sexuell verführen, scheint sich aber dann in den schönen Mann ernsthaft zu verlieben: eine Möglichkeit für Erlösung?

Egor erkennt bald, dass die Erscheinung wohl kein bloßer Alptraum sei. Zunächst widerstrebt er und sucht Zuflucht vor dem Schrecken in die erklärte Liebe zu Sanda. Es wird nicht klar, ob er Sanda wahrhaft innig liebt: Auch auf direkte Fragen von Nazarie antwortet er zunächst ausweichend: Er sucht eher eine aufregende Affäre, ein Spiel. Erst als Sanda auf rätselhafte Weise schwer erkrankt (Blutarmut, Schwäche), und er sich vor Christina maßlos fürchtet, nimmt er sich Sanda ernsthaft an: Erklärt ihr seine Liebe, seine Heiratsabsicht und will sie vor dem Untergang und aus diesem dunklem Hause retten.

Der Simina erklärt er damit und in deutlichen Handlungen und Worten regelrecht den Kampf. Diese wehrt sich jedoch erfolgreich: kann sich z.B. aus seinem festen Armgriff lösen (für ihn sehr schmerzhaft). Wenig später lockt sie ihn in einen Keller, wo sie ihn extrem verbal als Feigling und Dummkopf beleidigt, demütigt, indem sie ihm sadistisch küssend die Lippen zerbeißt, ihn sich entblößen lässt, worauf sie ihn die Brutz zerkratzt und ihn schließlich ihre Schuhe zu küssen befiehlt. Nervlich schwer angeschlagen folgt Egor den Befehlen. All diese Kraft zieht Simina offenbar von der untoten Christina, sie verkörpert sie geradezu - was dem Leser spästens nach der Lektüre bewusst wird.

Was ist diese Kellerszene wirklich? Demontiert Simina brutal diesen schnöseligen Großstädter, indem sie ihn als Päderasten und Masochisten, als den wirklich "Perversen" aus der Reserve lockt und schmerzhaft entlarvt?

Sanda siecht rasch dahin. Blutrünstige Mückenschwärme belagern abends das Haus. Professor Nazarie erfährt von den Dorfbewohnern vom üblen Ruf der Moscus: Fräulein Christina sei ebf. frühreif-pervers gewesen, habe sich bereits spätestens 16-jährig den Guts-Verwalter als Liebhaber gehalten. Dieser wiederum behandelte die Bauern viehisch und misshandelte diese oft und auf Befehl und in Anwesenheit von Christina. Während des Bauernaufstands im Jahre 1907 rettete sich Christina (ihre Schwester war abwesend), indem diese das Land an die Bauern verschenkte und sich ihnen zudem angeblich wollüstig hingab, gern auch paar- oder gruppenweise. Schließlich sei sie aber vom eifersüchtigen Verwalter erschossen worden, der sich anschließend seiner Mordtat brüstete. Doch ihre Leiche wurde nicht gefunden. Den Verwalter richteten kurze Zeit später eintreffende Soldaten. Auch die aktuellen Krankheiten (1935) von Vieh und Kindern im Dorfe stammen angeblich von der untoten Christina, die noch immer im Herrenhaus und im Dorfe umgehe, um die Menschen zu quälen.

Zunächst ist Egor skeptisch: Alles kann doch ganz anders gewesen sein, die Bevölkerung vermische hier Reales mit Aberglauben, kruden Legenden und sich selbst schützenden Ausflüchten. Auch Christina bittet ihn ausdrücklich (und auf mich ehrlich wirkend), den Verleumdungen keinen Glauben zu schenken. Auch das mag wahr sein - wie ich weiter unten spekuliere.

 

Ein Doktor, der eher Interesse an der Jagd bekundet, wird nun hinzugezogen. Der kann keine schwerwiegende Ursache für Sandas Krankheit erkennen, diagnostiziert eher ratlos eine Art Grippe. Wenig später, nächtens, fühlt auch er sich von der Angst angegriffen, sucht den Schutz der beiden anderen Männer bzw. will schnellstens flüchten.

 

Christina gibt sich Egor schließlich in rasender Begierde (bzw. Sehnsucht? wonach? Sex oder der Illusion einer erlösenden Liebe?) hin. Der (immer wieder charakter-schwächelnde) Egor bekennt ihr gegenüber, doch der Christina in Liebe verfallen zu sein. Doch schreckt er in panischer Angst zurück, als er ihre blutende Wunde findet. Das kann man bezeichnen als "zur Besinnung kommend". Muss ich aber nicht so sehen: Mir scheint (ähnlich wie der Christina), dass er einmal mehr feige vor den Konsequenzen seines Handelns, seiner Gefühle zurückschreckt und in Panik verfällt. Und dann eine rettende Ausflucht suchend in unglaubliche Wut verfällt: das Zimmer bzw. Haus in Brand setzt und das Andenken an Christina - in Gestalt eines meisterlichen Porträt-Gemäldes - zerstört: Mit einer wilden Bauernschar zieht er Axt-schwingend und verwüstend durch das Haus. Schließlich sucht er den Keller (den Ort seiner Demütigung!) auf und erkennt darin den Ort, wo offenbar Christina verscharrt wurde / oder wohin sie sich rettend zumindest verendete. Wo sich nun auch Simina aufhält. Offenbar, um das dunkle Heiligtum und den Rückzugsort von Christina zu schützen. Wirklich? Oder hat sich Simina einfach nur vor dem Mob versteckt, genauso wie 1907 Christina?! Natürlich durchbohrt der Egor hier im Keller das (vermeintlich) vergrabene Herz Christinas mit einer Stange. So macht man dies eben mit einem Vampir: Pflock ins Herz! So tötet er sie.

Aber was passiert wirklich, frage ICH mich: Hat der rasende Irre Egor nicht vielleicht Simina direkt und "in Echt" im Keller ermordet? Als blinder Rache? Ich versuche zwischen den Zeilen zu lesen …

Die Mutter verfällt vollends dem Wahnsinn. Ist also auch geistig gekillt. In einer Verfilmung krepiert sie suizidal in den Flammen. Noch deutlicher. Sie wurde also quasi indirekt gleich mit umgebracht, in den Tod getrieben.

Die ohnehin todkranke Sanda stirbt draußen. Obwohl sie sich doch in der "Obhut" der Dorffrauen befindet. Aber was ist von der Obhut abergläubischer Dorffrauen zu halten? Dieser Ehefrauen und Mütter von Männern, die womöglich vor Jahren die frühere verhasste Herrin Christina entehrten und sich das Land aneigneten. Die Menschen, die immer noch die überlebenden (Frauen) der Familie Moscu hassen? Erst wenn diese endgültig weg sind, wenn keine "Wiederkehr" droht, ist doch ihr neuer Besitz wirklich gesichert, oder nicht? Für Gewalt lassen sich zum psychologischem Selbstschutz diverse Ausreden erfinden: sind halt Hexen, Vampire, sexuell Perverse, Vieh-Vergifter usw. Die Frauen "helfen" Sanda mit seltsamen Zaubersprüchen und -gesängen, die auch wiedergegeben werden. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob dies nicht auch Verwünschungen gewesen sein könnten, die genau das Gegenteil bewirken sollten: Vernichtung!

 

Am Ende ist die Familie Moscu ausgerottet. Man meint, alle vier Frauen seien eben unheilvoll und magisch untrennbar miteinander verbunden gewesen: Man kann nicht eine kränken, schwächen oder gar töten, ohne alle zu treffen.

 

Der böse Zauber gebrochen, alle Vampire tot. Alles klar und gut?

Hmh.

 

Das wird übrigens auch so - vordergründig - in den beiden rumänischen Spielfilmen von 1992 und 2013 so inszeniert. Dies hat einen gewissen Schau- und vor allem Show-Wert. Nervte mich aber auch: Das hätte man mit mehr Grips als Metapher, Allegorie in Szene setzen können! Zumal doch Rumänen selbst die Novelle verfilmten! Da erwarte ich einen geistvolleren, sensibleren Blick hinter die Fassade der hintergründigen Novelle! Doch es kommt letztlich nur ein Horror-Thriller dabei raus (und das gleich zweifach, noch dazu im Abstand von 20 Jahren), der nur in einigen Passagen vermuten lässt, dass alles doch auch anders sein könnte. Aber dieser Ansatz, scheint mir, wird aufgegeben und erklärt den "Geist" zur horrenden Realität! Wie tumb! Das enttäuschte mich. Horror kam nicht rüber, eher (das aber immerhin überzeugender) die diffuse Trauer über Verlorenes, das Unerreichbare, die unendliche Melancholie, die Schwebe zwischen Leben und Tod.

Okay: der erste Film ist noch eher dran, obwohl gerade dort Christina von einer zu alten, erfahrenen Dame (ca. 40) und die Simina von einem 18jährigen, also ebf. zu alten "Mädchen" gespielt wird.

 

Alles kann ganz anders gewesen sein.

 

Durchaus möglich, dass die junge, gut aussehende Christina, einzige "Vertreterin ihrer Klasse" vor Ort, damals, 1907 während des Aufruhrs allein auf dem Gut(!), den eruptierenden Hass und Neid und Eifersucht der Dörfler (und v.a. der Frauen) auf sich zog ("Hexe!"). Die Übergriffe und reihenweisen Vergewaltigungen durch die völlig enthemmten aufständischen Bauern wurden umgedeutet als Wollust-Taten von Christina. Die ist doch selbst schuld, wollte es sogar! Die (im Kriege häufig vertierten) Männer sind damit von ihren Untaten entlastet! So einfach kann das sein!

Wenn überhaupt, könnte Christina so ihr Überleben erkauft haben! Dafür gibt es vom Autor hier und dort Andeutungen.

 

Später gibt Christina selbst an, unzählige Männer gehabt zu haben, die aber alle vor Angst zurückschreckten: vor dem doch eigentlich unwichtigen Blut und ihren Wunden. Aber was meinte die Verbitterte, Frustrierte damit? In den üblichen Leser-Kommentaren und in den o.g. Filmen wird das als simpler Vampir-Horror einer sexsüchtigen Hexe buchstäblich hingenommen als Eingeständnis, eine egoistische Verführerin zu sein. Das kann ich aber aus den Äußerungen der Frau nicht herauslesen. Christina könnte während des Aufstands eher bestialisch behandelt und dann auch noch als Hexe verleumdet worden sein. Nicht einmal richtig begraben wurde sie. Auch als ruheloser "Geist", der nach Liebe und eben nach Ruhe sucht, kommt "sie" nicht zum Ziel. Auch nicht ihre offensichtlich einsamen und isolierten Familienmitglieder, ihre (geistigen) Erben, die "Bluts-Verwandten" (in Familie und als gesellschaftliche Ex-Bojaren-Klasse): Es gelingt kein Anschluss an Bauern oder Bürgertum! Weil die anderen sie immer noch (und ihre Klasse, ihr Blut) hassen? Auch hassen, gerade WEIL auch die Bauern in Rache den Bojaren-Damen selbst etwas Ungeheuerliches angetan haben? Gesündigt haben? Dies nicht vor sich und Gott wahrhaben wollen? Selbst noch die Wunden werden gefürchtet! Und was man fürchtet, wird nicht selten auch gehasst! Selbst dann, wenn eigentlich keine objektive Gefahr mehr besteht.

Oder weil Männer überhaupt kluge Frauen fürchten?

Oder liegt es doch eher an diesen Moscu-Damen, die nicht ausbrechen können aus ihrem uralten (adligen) Dünkel? Immerhin tadelt die kleine Simina ihre erwachsende Schwester Sanda, die Tante Christina zu vergessen - also damit ihre (vornehme) Herkunft, Tradition, Familie abzustreifen. Tatsächlich ist Sanda in der Hauptstadt und zunächst auch auf dem Land glücklich, selbstbewusst, gesund und energisch. Unter dem Einfluss der Heimat und der Familie bricht sie aber schnell zusammen und stirbt. Keine Rettung aus der degenerierten, zum Tode verurteilten Klasse …?

 

Zunächst ein unterhaltsamer Vampir-Roman könnte die Lektüre bei dem Leser später andere Wirkungen entfalten. So entdeckte ich erst im Anschluss interessante Konstellationen, die Schlüssel zum Doppelbödigen, zu den eigentlichen Intentionen des Autors sein könnten: Immerhin ist Eliade doch Mythos- und Religionsforscher! Der sich zeitlebens damit beschäftigte. Der als Konservativer galt (ja sogar zeitweise übrigens als Faschist, als Anhänger der französischen extremen Rechten). Der sich bemühte, die psychologischen und realen Hintergründe für Mythen und Riten herauszufinden. Der nimmt das doch nicht alles für bare, platte Münze!

 

Da sind drei untrennbar miteinander verbundene, aneinander gefesselte Frauen. Ausgerechnet Frauen als Vertreter der urspr. repressiv-herrschenden, nun sterbenden, dekadenten Bojarenschicht! (Weiblichkeit als archaische, bewahrende Kraft.) Erscheinend als (ungute, unheimliche) Magierinnen - aber äußerlich durchaus liebreizend, traditionsbewusst. Aber eigentlich eine blutsaugerische Sippe. Blutsbande und geistige Klammern verhindern, dass selbst sich von der Vergangenheit loskommen wollende Familienmitglieder ausbrechen. Da vegetieren sie nun weiter im modernen 20. Jahrhundert in ihrer inzwischen toten Vergangenheit - wie Zombies: geistig abwesend, schlafwandelnd, drohend.

 

Ihnen gegenüber stehen drei zunächst einander fremde moderne Männer, die aber rasch zueinander finden. Die zwar charakterliche Schwächen zeigen, aber doch irgendwie sympathisch und vergleichsweise vernünftig erscheinen. Die dennoch Emotionen wie Angst und Tränen zulassen. Die von den Ladies einerseits fasziniert sind, nahe daran, ihren Reizen zu erliegen. Sich aber andererseits angstvoll, ja panisch "wehren". (Der verträumte, gottesfürchtige Historiker Nazarie ist erstaunlicherweise noch der vernünftigste, der rationale, "aufgeklärte" Egor ist zuletzt ein mittelalterlicher Dämonenaustreiber!)

 

Es herrschen Trauer, Nostalgie, Melancholie, schwüle Apathie. Blicke in seelische und sexuelle Abgründe. (Teilweise unerreichbare) sexuelle Wünsche kommen wie eine Ersatzdroge daher und deuten Pornografie, Nymphomanie, Pädophilie, Nekrophilie, unbeherrschte Geilheit, sexuellen Sadismus an. Dies wurde im Rumänien des Erscheinungsjahres 1936 durchaus als Skandal betrachtet. Wollte Eliade provozieren? Vielleicht ja, aber er verteidigte sich schließlich, gewisse Passagen eben methodisch, instrumentell, symbolhaft benutzt zu haben.

 

Auch auffällig gewisse Paradoxien: Immer wieder wird das Warme, Heiße an Christina betont. Ausgerechnet die Toten werden also mit (unnatürlicher, beängstigender) Wärme in Verbindung gebracht. (Noch können von den nicht ganz Toten, dem Vergangenen Brände ausgehen!)

Bei der Schilderung der jungen Lebenden hingegen, wie die erkrankende Sanda oder die (scheinbar) gefühllose Simina, werden wiederholt Kälte assoziierende Begriffe verwendet. Noch krasser: die Toten, Sterbenden und mit ihnen Verbundenen (Simina) sind scharfen Verstandes. Lebende erscheinen mir hingegen schläfrig, apathisch, zuletzt sogar voller rasender Kopflosigkeit und Wut.

 

Die Story - wohl auch eine an einem ur-rumänischen Mythos aufgehängte Allegorie auf ein Rumänien im Umbruch, Anfang des 20. Jahrhunderts; am Beginn seiner Moderne; seine noch umgehenden, unruhigen Geister der Vergangenheit …

 

Allerdings: Mich berührte emotional eher das bittere Schicksal der Christina.

 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass es in der rumänischen Wikipedia eine umfangreiche, sehr lesenswerte Analyse des Werkes gibt. Dank Edge-Translator oder Deepl-Übersetzer sind Lektüre und Verständnis kein Problem mehr. Dort spielt meine (ziemlich politische) Lesart überhaut keine Rolle. Es wird detailliert und begründet der modellhafte, kosmologische, philosophische Charakter der Novelle ausgebreitet. Das ist angesichts der wissenschaftlichen Profession Eliades absolut schlüssig und überzeugend. Zudem wiederholt der Autor auffallend und eindringlich, dass die Ereignisse "wirklich" seien: So findet Egor im Wachzustand Christinas Handschuh auf dem Tischchen, er befragt Nazarie nach dem Duft im Raum (der Veilchen-Parfüm bezeugt) usw. Es geht also über eine gesellschaftspolitische Metapher hinaus. Möchte ich hier aber nicht sträflich simplifizierend wiederkäuen, denn: diese Auslegung ist ja schon da …