Janusz Zajdel: Unterwegs zum Kalten Stern. (1975)
Eine klassische Weltraum-Science-Fiction-Story des nach Stanislaw Lem bekanntesten polnischen SF-Autors Janusz Zajdel. Ein kritischer Schriftsteller, u.a. auch Mitbegründer einer Zelle der das kommunistische Regime erschütternden Gewerkschaft Solidarnosc in seinem Unternehmen. Er arbeitete als Kernphysiker. Zajdel starb 1985 an Lungenkrebs - bereits früh, im Alter von nur 47 Jahren. Weiß man um diesen Hintergrund, liest man seine Bücher aufmerksamer, sucht auch nach Botschaften "zwischen den Zeilen". Zumal er in seinen späteren Werken immer wieder totalitäre Gesellschaften thematisierte.
Ein Raumschiff macht sich auf die jahrzehntelange interstellare Reise zu einem fernen Planetensystem des "Kalten Sterns". Der Großteil der Expedition verbringt die Zeit im dauerhaften Kälteschlaf. Nur eine für Betrieb und Kontrolle nötige Bedienmannschaft von 15 Personen wacht (buchstäblich) auf dem Schiff und wird alle 3 Monate vom nächsten kleinen Team abgelöst. Nach ein paar Jahren rotiert dieser Reigen.
Nur ein Mann ist nahezu die ganze Zeit wach: der stellvertretende Kommandant und Sicherheitsoffizier Kamil. Er hat nicht viel zu tun, zweifelt im Laufe der Jahre am Sinn seines Jobs und trägt dennoch immer schwerer an der Last der wahrgenommenen Verantwortung - vielleicht Folge des überlangen, letztlich doch einsamen, öden Lebens, - das einem Warten auf "Irgendetwas" gleichkommt und so Ängste schürt: im möglicherweise und irgendwann eintretendem Ernstfall zu versagen. Er deutet daher mit einem psychologischen Trick seine immer quälendere "Verantwortung" um in eine als emotional leichter empfundene, schlichtere "Arbeit zum Nutzen der Expedition".
Bis das Schiff einen Zwischenstopp am sternlosen Planeten Kappa einlegt.
Nun kommt es an Bord und auf dem Planeten zu Zwischenfällen. Dort und kurz danach verfallen Besatzungsmitglieder in eine Art Schlafkrankheit. Haben sie sich infiziert und sind sie einer Epidemie ausgesetzt? Haben sie etwas entdeckt und sollen zum Schweigen gebracht werden? Werden sie angegriffen? Von woher droht Gefahr - von innen oder von außen? Denn es zeigt sich zudem, dass jemand oder etwas versucht, den Kurs des Raumschiffs zu manipulieren. Handelt es sich um ein zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen oder stehen sie in einem Zusammenhang?
Kamil sucht eine Erklärung bzw. einen "Täter" und ahnt, dass auch dieser wohl nur wenig Zeit hat, sollte er aus den Reihen der Mannschaft kommen: Denn mit dem Wechsel der Mannschaft würde man alle noch "wachen" Mitglieder der aktuellen kleinen Truppe als Verdächtige ansehen und nicht mehr nach dem gewohnten Rhythmus revitalisieren.
Verdächtige gibt es genug. Schon früh wird der Leser auf eine falsche Fährte gesetzt. Aber zu früh und zu grob, um diese als wahre Ursache für die Vorfälle, für die vermeintlichen "Angriffe" wirklich ernst zu nehmen. Denn unter den Menschen befinden sich nahezu perfekte androide Roboter.
(Man fragt sich, warum überhaupt Menschen auf die lange Tour geschickt wurden, zumal dies zum Schluss hin sogar ausdrücklich - außerirdischerseits - thematisiert und sogar beantwortet wird: Die echten Körper mit den an sie gekoppelten Persönlichkeiten sind zu kostbar, um sie auf sinnlos langen Reisen zu verschleißen bzw. unwägbaren Gefahren auszusetzen.)
Nach längeren Ermittlungen und Abenteuern klärt sich der Fall. Wobei weder die Raumschiffentführer noch Kamil eindeutig "siegen".
Eine außerirdische Zivilisation entsendet in größeren Abständen regelmäßig Expeditionen zur Erde und deren mit Sorge und Furcht beobachteten aggressiven und zerstörerischen Bewohnern. Ihr jüngstes größere Schiff verunglückt am Neptun und deren nun isolierte Tochterkapsel mit zwei Außerirdischen an Bord strandet auf der Erde. Wobei die beiden nicht wirklich physisch an Bord sind: deren Persönlichkeit wurde in maschinelle Systeme eingespeist. Überleben können sie nur, indem sie ihre Persönlichkeit - zeitweilig - auf Menschen übertragen. Zwei vorbeilaufende Jugendliche werden als Wirte benutzt. Sie werden später auf eben dieses Raumschiff kommen und alles versuchen, wieder heimzukehren und gleichzeitig das menschliche Schiff von ihren Planeten fernzuhalten.
Interessant ist der Roman in struktureller und formaler Hinsicht deshalb, weil er vier Stories in einer bietet: Der Lauf der Handlung wird dreimal unterbrochen von unterschiedlich langen Kurzerzählungen innerhalb der Rahmengeschichte.
Da ist die Erzählung von einem (ziemlich mineralienarmen) Planeten, auf denen baumähnliche Wesen mit ihren Ästen und Wurzeln miteinander um seltene Beute ringen - bis zum Tode. Begehrte Mineralien regnen bisweilen in Form von Meteoriten herab, selten ist es auch mal ein "schmackhaftes" Raumschiff ...
In einer weiteren Story geht es um zwei schwer havarierte Raumfahrer im Orbit eines fremden Planeten, denen Atemluft und Nahrung rasch ausgehen. Für einen Mann würde die Atemluft bis zur Ankunft des folgendes Schiffes reichen; auch nur für eine Person reicht der Lander im Hangar. Denn auf dem Planeten gäbe es ein sattes Depot für das Überleben. Die Gemeinsamkeit der beiden zerbricht an dieser Situation. Sie trauen sich nicht mehr gegenseitig, denn - blöd, blöd - der eine hat eine Waffe mit 12 Schuss, der andere den Schlüssel zur Landefähre. Und dann gibt es da noch den Roboter. Den man später - nach dem Tode der beiden Kosmonauten - auf dem Planeten im Lander sitzend findet: mit einem Pistolenschuss im Rücken. Was genau ist passiert? Handelte der Roboter gar selbstständig? ... Ist es nicht vielleicht manchmal besser, nicht die ganze vermutete "Wahrheit" zu veröffentlichen? Was brächte es, am Ruhm dieser heldenhaften Kosmonauten zu kratzen?
Die dritte Story ist die längste und könnte ebenso gut separat erscheinen. Ein Passagier-Transporter zum Mond wird gekapert. Nur ein sehr alter Mann wird von den fünf Entführern gekidnappt. Man zieht sich auf eine der vielen automatischen Stationen in der Mond-Wüste zurück. Der Transporter mit den anderen Reisenden kehrt dagegen bald heil heim. Jetzt muss Kosmopol (die Polizeibehörde des Weltraums) schnellstmöglich irgendwie herausfinden, wo genau sich die Banditen verstecken und sie fassen. Denn sie wissen längst, wen sie in der Gewalt haben: das letzte noch lebende - eigentlich mit neuer Identität versehene - Mitglied eines Mondlande-Teams von vor 50 Jahren. Dieses versteckte dort in einem geheimen Depot die letzten Massenvernichtungswaffen, da diese als D-Waffen (Anihilations-Ladungen) nicht zu vernichten waren. Sämtliche anderen A-, B- oder C-Waffen waren da schon eliminiert. Die Gangster wollen das Versteck erfahren um damit die Menschheit zu erpressen. Da geht es ums Ganze ... Naja: der Alte ist standhaft, Kosmopol agiert vorsichtig und clever, der Verbrecher-Boss hat so seine menschlichen Schwächen ...
Schaut man genauer hin, sind diese drei Sub-Storys thematisch mit der Haupthandlung verbunden bzw. führen schon zur Lösung hin. In einem Falle ist es sogar kein ausgedachtes Märchen, sondern Erinnerung eines der Außerirdischen.
Der Originaltitel des Kurzromans lautet "Prawo do powrotu": Das Recht auf Rückkehr. Das bezieht sich eigentlich nicht nur auf die beiden (übrigens nicht anthropomorphen) heimweh-geplagten Außerirdischen.
Auch den Menschen stellt sich die Frage: Wann sollte man umkehren? Wegen zu großer bzw. nicht mehr kalkulierbarer Gefahren, weil der Weg vielleicht in eine Sackgasse führt, sich das Ziel womöglich als Irrtum oder als Falle erweist?
Es muss übrigens auch keine "Rückkehr" sein: "Poworot" bezeichnet oft auch eine Wende. Eine Korrektur muss ja nicht gleich ein "180-Grad-Zurück" sein! Ja, ja - die Tücken der stets auch von der eigenen Sensibilität oder individuellen Interpretation abhängigen Übersetzung aus einer Fremdsprache ins Deutsche!
Man könnte also auch ein irrlichterndes Ziel vermuten, das der ehrliche Sicherheitsoffizier Kamil bis zu eigener Ermüdung und Selbstzweifeln verteidigt. Warum nicht den "Kommunismus"?! Vor dem man sich hüten sollte. Übrigens ist der Name Kamil bewusst gewählt: In westslawischen Sprachen (polnisch, tschechisch) aber auch in arabischen Sprachen bedeutet der Name "ehrbar", "anständig", "edel", "vollkommen". Er macht seine persönlichen Aufzeichnungen in seiner Muttersprache, die den anderen Teilnehmern exotisch ist und - wie eine Geheimschrift - nicht verstanden wird. Auch hier könnte man jetzt spekulieren …
Und nicht jeder andere ist scharf darauf, von angeblich fortschrittlichen (kommunistischen oder sonstigen -istischen) Menschen heimgesucht, ähm, daheim besucht zu werden …
So jedenfalls habe ich es gelesen und verstanden.
Und warum zum Deibel, schickt man Menschen auf sinn- und endlos lange kosmische Reisen?! Das fragt sich schließlich auch der Autor ...