Viktor Pelewin: Der Betrachter des Schattens. (2010)

Eine Eine Besonderheit meiner persönlichen Lektüre bestand darin, dass ich das russische Original (es liegt bislang keine deutsche Übersetzung vor) von deepl.com automatisch ins Deutsche übersetzen ließ. Ich beließ das Resultat weitgehend unberührt, nur bei den Anreden gab es spürbare Unstimmigkeiten. Wegen der sonst inzw. erstaunlich tadellosen Qualität der automatischen Übersetzung (in 2023 gilt deepl als herausragender Klassenbester seiner Branche) vermute ich eine "bewusste" Falscheinstellung an dieser Stelle, um Nutzer zum Bezahl-Abo zu bewegen, in dem man eindeutig z.B. formelle und informelle Ansprache auswählen kann. (Denn im russischen Text wird eindeutig und wiederholt das "du" verwendet: Hier gibt es also kein Vertun.)

Selbst an der "Eleganz" ist nicht all zu viel auszusetzen: Die Übersetzung ist flüssig lesbar, nur an wenigen Stellen gab es sachliche Fehler / "Missverständnisse" der KI bzw. unlesbares Kauderwelsch. Man ist hier faszinierend weit gekommen!

Dies vorab zum technischen Hintergrund.

 

Es handelt sich um eine Geschichte, die von religiösen Ideen aus Indien und vor allem dem philosophischen Höhlengleichnis Platons inspiriert wurden.

Sie erzählt vom Versuch des russischen Indien-Reiseführers Oleg, in langen Meditationen mit seinem Schatten in direkten Kontakt, in einen Dialog zu treten um von ihm zu lernen: Die wahre Natur und Beschaffenheit der Welt, der Sinn des Lebens usw.

Anfangs als engagierter Sinnsucher beschrieben, wandelt er sich bis zu seinen Mittdreißiger Jahren zu einem Desillusionierten, der seine russischen Klienten teilweise verächtlich betrachtet.

"In seiner Jugend beantwortete Oleg Petrov die schmeichelnde Frage "Was fahren Sie?", die ihm in der Moskauer Dämmerung gestellt wurde, um den Gesprächspartner rasch zu identifizieren, selbstbewusst mit den Worten "manchmal auf Pilzen, manchmal auf LSD". Als die Ära der anfänglichen Akkumulation in eine Phase des instabilen Verfalls eintrat, Oleg die Substanzen aufgab und das Spiel beherrschte, begann er zu antworten, dass seit der Erschaffung der Welt absolute Stille herrsche und seine scheinbare Bewegung im Raum eine Halluzination des Beobachters sei - und dies sei es, was er 'reitet'. Im Alter von fünfunddreißig Jahren hatte er so viel Interesse und Vertrauen in die Menschen verloren, dass er anfing einfach zu sagen: "kein Auto". Und er war zu faul hinzuzufügen, dass es das nie gab und nie geben wird, ebenso wenig wie einen festen Arbeitsplatz, eine Familie und einen Platz auf dem Friedhof."

Dennoch ist der Wunsch, hinter die Kulissen der Welt zu schauen nicht ganz erloschen. Als der von Indern die Legende von einem Einsiedler, einem Schattenbetrachter hört, der mit seinem Schatten direkt kommunizieren könne, ist er ergriffen. Erste Versuche, dies im Schwimmbad mit seinem Spiegelbild im Wasser zu tun, scheitern an störenden Kindern ... So begibt er sich in ein Experiment: Mit ausreichend Elektroenergie versehen und langlebigen Dauerstrahlern ausgestattet setzt er sich in einer Hütte im Süden Indiens wochenlang dem Licht in seinem Rücken und dem davon vor ihm gebildeten Schatten aus. Irgendwann beginnt dieser Schatten scheinbar seltsame Formen anzunehmen und mit ihm zu sprechen - anfangs skeptisch amüsiert, dann ernsthafter - u.a. indem er Oleg die Rollen wechseln lässt: Er gewährt ihm, seine Rolle als Schatten zu übernehmen, also Schatten seiner selbst zu werden.

Das ganze wirkt in seiner detaillierten Beschreibung wie ein Drogen-Trip. Der Held überlebt dank Hilfe indischer Nachbarn und Polizisten nur knapp den Trip (die Lampe fällt um, das Bett, auf dem der übermüdete und ermattete Oleg halluzinierend(?) liegt, fängt Feuer). Es wird nicht klar, ob das, was er sah, eine Illusion oder eine tatsächliche Erfahrung war. Eher eben rauschhafte Halluzinationen.

Oleg gewinnt während der Meditation die Erkenntnis (nachdem er in seinen Schatten getreten war) die Erkenntnis, dass "die Welt, in der Oleg sein Leben verbracht hatte, war tatsächlich ein Schatten." Es gäbe gar keine richtige Welt. Vielmehr sei da nur "ein einziges Wesen ..., und dass es keine Menschen und überhaupt keine menschliche Welt gibt, sondern nur einen immerwährend laufenden Motor, der mit der Selbsttäuschung von etwas läuft, das nicht wirklich existiert, obwohl es glaubt, dass es existiere. Und in dieser Gewissheit liegt die Selbsttäuschung. Alles war aufeinander abgestimmt, präzise und schön - eine kärgliche, kalte kosmische Schönheit. ... Es kam nicht von irgendwoher. Oleg selbst reproduzierte es in jedem einzelnen Moment seiner Existenz - und nahm die Wellen seiner "Flossen" als seine Gedanken. ... Der Schöpfer war gar nicht das Dreieck. Der Schöpfer war er selbst. Aber die Art von einem Schöpfer, der nicht einmal wusste, wer und wann hatte ihn in die ewige, blinde Sklaverei entführt. ... ich bin kein Mensch ... ich bin dieses Licht."

Nach Auftauchen aus Schlaf und Fibertraum erscheint Oleg das Geschaute und Erkannte als "äußerst wichtige Sache", die man nicht vergessen darf und die er unbedingt den Menschen verkünden müsse. Aber irgendwie hat er die Details vergessen bzw. bei "Licht" (haha) sieht es nicht mehr ganz so beeindruckend aus, eher wie "völliger Unsinn ... - wie ein Kiesel, der unter Wasser wertvoll erscheint und sich an der Oberfläche eben in einen gewöhnlichen Kieselstein verwandelt." Der rettende Polizist ist jedenfalls wenig beeindruckt ('aha, im Drogenmissbrauch verursachter Sachschaden?') und kündet an, ihn hinter Gitter setzen zu müssen. Allerdings kann man darüber ja noch mal nachdenken - naja: "or else". Zack, wieder in der grauen Realität gelandet!

 

Vor allem anfangs ist die Story durchdrungen von Ironie über die zweifelhaften, angespannt-verkrampften Versuche von Europäern, in die indische Kultur einzudringen, bzw. sich Indien insgesamt anzunähern. Die verkündeten Ambitionen sind beeindruckend und groß. Und dann landen die Typen (egal ob Russen, Deutsche oder Israeler) letztlich doch nur in einem ayurvedischen Bordell ... (wenn man es nüchtern betrachtet)! - Wenn es nicht gar von vornherein nur eine Lüge darstellte: Im Grunde interessieren sich diese Europäer zumeist überhaupt nicht für Philosophie, Metaphysik oder indische Religion und Lebensart - sondern nur für ein - gewissermaßen - "Upgrade ihrer Softskills", um beruflich voranzukommen oder um etwas im Habitus vorzuweisen / zu schauspielern, was sie von den Mitmenschen in ihrer eigentlichen heimatlichen Umgebung exponiert erscheinen lässt.

 

Einen echten Erkenntnisgewinn konnte ich persönlich aus der Geschichte nicht ziehen. - Außer eben einem erneuten, ernüchternden und skeptisch-ironischen Blick auf krampfhafte Versuche von sinn-suchenden Europäern, in fremde Kulturen einzudringen und sie zu verstehen. Was aber selbst eher Interessierten irgendwie nicht gelingen mag. Oder aber diese landen in einer Art Psycho- oder fantasy-artigem religions-Disneyland (was geschäftstüchtige Einheimische für sie aufzogen) bzw. eben in drogenbefeuerten Scheinwelten. (Jeder Sonnenuntergang symbolische "Einäscherung Gottes" ...) Was sicher nichts mit dem Gedankenkosmos der Hindus oder überhaupt mit ernsthafter Philosophie zu tun haben mag.