Gaea Schoeters: Trophäe. (2020)

Trophäe ist ein Roman, den man verschieden kategorisieren könnte:

 

Es ist ein Afrika-Roman. Denn er handelt großteils in einem afrikanischen Land und berichtet über ein exotisches Großwildjagd-Abenteuer, einer Safari. Natürlich wäre das zu simpel aufgefasst.

 

Es ist auch ein großartiger, erhellender, nachdenklicher Roman über die Jagd, über ihr Wesen, und über die Menschen, die sie - aus unterschiedlichen Beweggründen - betreiben. Denn dieses Wesen lässt sich eben differenziert diskutieren: Die Jagd derer, die es aus Notwendigkeit heraus tun, um leben und überleben zu können, weil sie ein Teil der Natur sind, weil sie Nahrung beschaffen müssen. Und dies mit dem Wissen über die Endlichkeit, die Kostbarkeit der „Ressourcen“, mit einem tiefen Respekt gegenüber ihren Mitbewohnern: den Tieren, die sie jagen müssen, im Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit. Selbst die Rituale nach der Tötung sind keine triumphalen, stolzen Siegesfeiern, sondern ähneln eher ehrfürchtigen, fast traurig-melancholischen Beerdigungszeremonien.

Und da ist die Jagd derer, die sie als Sport betreiben oder gar als Spiel mit der gottgleichen (All)Macht, als Herr über Leben und Tod. Gar aus Gier nach Wettstreit, Macht oder Mordlust heraus. Allmachtsfantasien, die mit hohen moralischen Ansprüchen grotesk begründet und gerechtfertigt werden. Aus einer beanspruchten Rolle als Wärter, Pfleger und Heger heraus. Also schlicht Herrenmenschentum, Führerwahn. Weil sich jemand berufen und berechtigt fühlt, aus vermeintlich höheren Zielen töten zu dürfen, ja zu müssen. Und dies wiederum, weil er die richtige Haltung habe! Nur der Mensch tötet aus der Ferne, heißt es einmal im Buch. Und so sinniert einmal der Protagonist des Romans "Auch Gott tötet mit dem Zeigefinger" ...! Er vergleicht sich mit dem HERRN. Nur ist er kein Schöpfer, sondern sieht sich als Bewahrer, Ordner, Pfleger. Nur der Jäger stehe ganz oben in der Nahrungskette. Alle anderen, selbst die kräftigsten Wesen, seien seinem Wissen und seiner Willenskraft unterworfen. Zudem: Der Ballast der Zivilisation fällt ab, und [mancher Jäger] fühlt sich als ... MANN. Mit Ehre. Und ein solcher sei eben ein Jäger, ein Krieger. Auch das Drumherum: das Draußenschlafen, die Pirsch usw. Aber es ist natürlich nur eine Illusion. Natürlich. "Eine konstruierte Authentizität, an der eben nichts authentisch ist." Zumal in Afrika. Es ist bestenfalls eine "richtige Inszenierung des afrikanischen Traums."

Und so weiter.

 

Es ist ein Roman über die nach wie vor vorhandene koloniale Sicht von Europäern oder Nordamerikanern auf Afrika: dessen für sie verfügbare Ressourcen und Menschen. Denn er betrachtet die Beziehungen und Verhältnisse der Menschen zu- und miteinander. Deutlich wird dies an diversen Exkursen und Dialogen zwischen dem nordamerikanischem Helden und afrikanischen Begleitern.

 

Ein mit simplen, vermeintlichen Wahrheiten aufräumendes Buch ist es auch: Da liest man interessante Exkurse über die Großwildjagd in Afrika, die sogar dazu beitragen könne, Tier-Populationen wachsen zu lassen und Regionen zu entwickeln. In Gebieten mit reinem Naturschutz habe Wilderei oft freies Spiel. Es sei naiv zu glauben, dass eine arme, hungernde Bevölkerung den "Goldbarren" auf der Straße einfach als "schützenswert" liegen lässt: Für das Horn des Nashorns, für das Elfenbein des Elefanten wird viel gezahlt! Trophäenjagd als einzig funktionierende Form des Naturschutzes und Überlebenschance für Tiere! Und auch für bestimmte Menschengruppen: Menschenjagd als Entwicklungshilfe! Die später im Romanverlauf geschilderte direkte Menschenjagd ist noch nicht mal weit hergeholt: Denn was ist es anderes, wenn afrikanische Regierungen z.B. die Wilderer jagen und erschießen? Wahrscheinlich in weit höherer Anzahl, als diese Nashörner erlegen. Und dies sicher nicht nur aus Gründen des Naturschutzes, sondern weil diese Freibeuter schlicht das große Business stören. Somit sei diese Menschenjagd ein Nebenprodukt der naiven Trophäenjagd! Eine erstaunlich drastische Enthüllung!

 

Es ist ein Roman über das Wesen und den besonderen Charakter des Menschen an sich: Worin unterscheidet er sich - selbst in der Savanne, im Dschungel, bei der Jagd - vom Tier? Von jenem Tier, das ihn ebenfalls jagd? Kann es sein, dass der Anspruch, Macht über Leben und Tod zu haben, doch mehr in der bewussten Akzeptanz des eigenen Todes mündet?! Ein für mich überraschender Aspekt! Ein Blick darauf und gleichzeitig ein Blitz ins "Herz der Finsternis". Tatsächlich bedankt sich die Autorin im Nachwort bei demjenigen, der ihr früher einmal die Lektüre des gleichnamigen Romans von Joseph Conrad empfahl!

 

 

Der Roman hat einen Rahmen. Er beginnt mit einem Rückblick. Da kommt ein Dawid bei Schneefall mit dem Flugzeug in den USA an und denkt an die vorigen zwei Monate zurück: dass die Entwicklung nicht vorherzusehen gewesen sei und dass der Beschriebene, der da ankommt, vor Monaten noch ein ganz anderer Mensch war.

Der Leser kann Dawid zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht kennen. Könnte es ein Ami sein, der Hauptheld der Story? Man kann also nichts mit ihm anfangen. Erst im Nachklapp, im abschließenden Rahmenteil zum Romanende hin, wird es sich auflösen. Vielleicht anders, als der Leser es lange denken mag.

 

Denn nach nur zwei Seiten dieses Vorspiels setzt der Rückblick ein, der die eigentliche Geschichte wiedergibt. Da ist Hunter White (vielsagender Name), ein US-Amerikaner, der mit Bankgeschäften und virtuellen Finanz-Produkten steinreich wurde. Wohl mit Luftnummern, Blasen, Erwartungen und Versprechungen (Kredite, Derivate, Wertpapiere, Aktien, Anteile). Das, womit er handelt, existiert nicht wirklich. Und ausgerechnet dies fungiert als Basis für seine handfeste, echte Leidenschaft: Er ist passionierter Jäger seit Kindheit an. Ein ganz und gar reales, physisch wirksames Raubtier! Seinen Vater hat er verloren. Bei einer Bärenjagd wurde dieser irrtümlich erschossen. Hunter wächst beim Großvater auf, einer ihn immens prägenden Gestalt, die ihm in erster Linie das Jagen beibrachte. Nicht das wilde Abschlachten, sondern als ehrbaren, geduldigen, möglichst fairer, respektvoller Wettstreit mit dem "Gegner". Aber es ist eben immer nur der Respekt vor der Beute! Und wenn darauf verzichtet wird, dann nur, weil die Beute dennoch Beute bleibt und nur reifen darf, damit sie schöner wird. Was den Wert der Trophäe vergrößert.

Nie fragt übrigens Hunter nach detaillierteren Hintergründen des Jagdunfalls seines Vaters. Erst ganz spät, als es abwärts geht und das ganze Welt- und Gedankengebäude Hunters ins Rutschen kommt, schwant ihm, dass eben sein Großvater den Vater erschoss: Sie waren zu zweit, es gab keine größere Jagdgesellschaft! Nach all der breiten Auslegung von Hunters Gedanken zur Jagd, zur Welt usw. zeigt sich da plötzlich, wie völlig seelisch unbedarft und unreflektiert Hunter eigentlich ist. Voll und ganz auf die Jagd an sich fixiert, zeigt er sich quasi blind und stumpf gegenüber dem Rest des Universums! In radikaler Konsequenz fragt man sich, wohin ein gewisser Charakter der Jagd führen kann. Zur Jagd auf Menschen? Zum Krieg?

Denn da gibt es erhellende, zynisch klingende Passagen zur Jagd, die auch Begründungen für Kriege sein könnten. Für die Rechtmäßigkeit des Kriegs von "richtiger Seite" aus: Für das Rhino ist es egal, wer den Abzug drückt? Natürlich nicht! "Schwachsinn ... Jedes Kind weiß, dass kein Schuss dem anderen gleicht. Auf solchen Regeln beruht die Weltordnung. Wenn Ranger Wilderer erschießen, ist das ... erlaubte Notwehr; wenn Wilderer auf Ranger schießen, ist das Mord. Genau aus solchen Gründen ist die Jagd eine Form des Artenschutzes, und deshalb ein artgerechter, ehrenhafter Sport, und das Wildern ein schreckliches Verbrechen. Der Gedanke, dass der Bodensatz der Gesellschaft sein Nashorn gleich mit einem Streifschuss umlegt, um ihm danach mit einem Beil zu Leibe zu rücken und die Hörner illegal zu verkaufen, treibt Hunter zur Weißglut. Er, er allein, hat das Recht, dieses Nashorn zu töten ... Mit jedem Schritt, … dringt die Essenz dessen zu ihm durch, was er ... später vergeblich zu erklären versuchen wird: dass es lebenswichtig ist, wer die Kugel abfeuert, die das Tier tötet. Denn darin liegt der Unterschied zwischen Gut und Böse: wem der Finger gehört, der den Abzug drückt." Übertrage dies auf die große Weltpolitik! Ich muss schlucken bei solchen Sätzen.

 

Hunter jagte in Amerika alle möglichen Tiere. Er kommt auch regelmäßig nach Afrika. Sein respektierter Freund van Heeren verkauft ihm Lizenzen zum Abschuss diverser kapitaler Tiere: Löwen, Giraffen, Elefanten, Büffel, Nilpferde. Nun soll es ein Spitzmaul-Nashorn sein. So könnte Hunter seine Big Five vollmachen und seiner kunstinteressierten Ehefrau eine weitere Trophäe vor die Füße legen. Menschliche Schrumpfköpfe hat sie ja auch schon! Und Mumien mag sie auch. Morbide Hobbies scheinen sie beide zu einen ...

Die Jagd misslingt: Wilderer kommen ihnen in die Quere und erlegen das Nashorn. Die "Falschen" hatten Erfolg. Rachegefühle bestimmen zunächst Hunters Gefühle. Von hoher pseudomoralischer Warte aus will er die Verbrecher zur Strecke gebracht wissen. Ein Raubtier wurde um seine Beute gebracht. Die Unerfülltheit eines "Coitus interruptus des Jagens"! Aber damit wäre sein Jagdtrieb nicht befriedigt: Van Heeren fragt ihn, ob er schon einmal von den Big Six gehört habe? Und lässt ihn listig beobachten, wie in die Savanne rückgesiedelte Buschleute jagen: ein Junge jagt eine Antilope und initiiert sich damit zum Mann. Die Art der Jagd fasziniert Hunter und er fühlt und begreift, warum ihn van Heeren dieses Schauspiel zeigt. Ihm wird angeboten, als Ersatz für das entgangene Nashorn einen Menschen zu jagen: diesen jungen Mann! 500.000 Dollar, Quote: alle drei Jahre eine "Lizenz" - exklusiv! Jeder weiß, was gespielt wird. Das Volk der Buschleute sowieso: Sie haben Opfer dafür zu bringen, dass ihre Gemeinschaft überlebt. Das Geld kommt ihnen zugute, sie dürfen bleiben. Hunter sträubt sich zunächst dagegen, wie es sich für einen zivilisierten Mensch gehört. Doch schon ist er fasziniert und berauscht. Und willigt ein. Radikale Konsequenzen!

Die Jagd des Protagonisten wandelt sich im Verlauf der Handlung zu einem echten Fieberwahn, mit zunehmend surrealen, grotesken Zügen. Im Zusammenspiel mit der präzisen, plastischen, Rasanz erzeugenden Sprache verglichen einige Kritiker die Art des Werks mit einem Mix aus Hemingway und Kafka.

Die Jagd Hunters auf den Mann !Nquate wird ein körperliches wie seelisches Martyrium. Obwohl es der Weiße natürlich nicht allein hinbekommt. Ein Pfadfinder und Dolmetscher, der intelligente und bereits früh lebenskluge Dawid führt ihn zur "Beute" !Nquate. Es ist sein eigener Freund! Und beide wissen, dass das Opfer gebracht werden muss. Der Ausgang steht also von vornherein fest. Hunter ist zu dumm und narzistisch verblendet, es zeitig zu erkennen! Er, der seine Lust auf dass Töten mit hohen moralischen Ansprüchen rechtfertigt, von der Warte eines Herrenmenschen aus. Diese „Moral“ zerbröselt, als er schließlich seine intellektuelle wie moralische Rohheit und Gnomenhaftigkeit erkennen muss. Er wird es nicht überleben. Jäger und Beute im Tode vereint.

Und so endet der Roman überraschender Weise fast als Tragikomödie: Der junge !Nqate muss sterben, wobei Hunter sogar die ehrenhafte Tötung nicht hinbekommt. Auch den Gnadenschlag muss sein noch junger Führer Dawid erledigen. Hunter verreckt am Stich eines Skorpions bzw. an der "Schwarzwasserkrankheit" - v.a. aber an verkümmerter, gebrochener Seele.

Dawid aber überlebt, und wird in die USA fliegen. Um dort zu studieren, zu lernen und später mit Wissen in seine Heimat zurückzukehren und seinen Leuten zu helfen. Das ist der gemeinschaftliche Deal, dafür das Opfer. Und - ja - überraschenderweise ist es dann nicht Hunter, der da aus dem Flugzeug steigt und über das Vergangene reflektiert. Sondern es ist eben der junge Dawid. Während Jäger Hunter und seine vermeintliche Beute !Nqate in Zinksärgen ausgeladen werden, geht Dawid seiner Zukunft entgegen.