Max Prosa: Die Reise des lausigen Kapitäns. (2018)

Max Prosa (*Podeschwig) ist ein begnadeter Poet und Sänger. Ziemlich melancholisch. Kritiker nennen ihn einen Singer-Songwriter der "neuen deutschen Innerlichkeit". Mit zunehmender Freude und warmer Emotionalität, fast Rührung, besuche ich seine Konzerte. Gern in kleineren Sälen oder Hallen. Da sind denn auch schon mal seine spielenden Kinder dabei und verkaufen zudem die Tickets oder CDs, Postkarten und Bücher. Sein Gesang, sein nachdenklich-gefühlvoller Umgang mit dem Publikum, die sogar im Gespräch lyrische, philosophische Sprache öffnen und erwärmen Herzen.


Ebenso anrührend und klasse: Seine monatlichen "Briefsendungen" an Interessierte: Da schreibt er Gedichte, vervielfältigt sie und schickt sie seinen Abonnenten-Freunden zu. Sehr gute Idee, sehr persönlich, mensch hat etwas mehr, worauf er/sie sich monatlich freuen kann: Der erwartungsfrohe Gang zum Briefkasten ...


Hier versuchte sich Prosa als Dramatiker und schrieb ein Theaterstück.

Er wird es 2017 bis 2018 verfasst haben, denn im Sommer kam es zur Uraufführung auf dem "Theaternatur-Festival" auf der Waldbühne in Benneckenstein (Harz). Das stand damals unter dem Motto "Fremde_Neue_Welt".


Das Drama erzählt die Geschichte eines zeitgenössischen Straßensängers. Mit seiner Lebensart, v.a. aber mit seinen Ansichten und seiner "Suche nach alternativen puristischen Lebenswegen" scheint er wie aus der Zeit gefallen. Damit eckt der Sanfte an! Denn er ruft auf zu Veränderung. Scheitert aber und wächst daran.

Der "Kapitän" mit dem kleinen Boot ist ein ewiger "Ex-Student", der zu weiten, fernen Reisen und neuen Horizonten aufbrechen wollte. Stattdessen verbleibt er in den Fußgängerzonen der Stadt und verdient sich dort seinen kargen Lebensunterhalt. Er verzweifelt bitterlich an der Welt, sieht sich aber trotz Armut auf dem richtigen Weg, prangert die Oberflächlichkeit und die Ziellosigkeit, das materielle Streben als Irrweg der meisten Menschen ringsum an. Fordert auf, "nicht mitzuspielen". Denn man könne "das Rad [nicht] umbauen, während es sich dreht“, also etwas smart ändern, indem man das Spiel annimmt. "Wie viele ... haben so gedacht und als starke Pflanzen die Mühlen durchlaufen? Sie kamen heraus als gemahlenes Korn, einander gleicher als gleich. ... Schau sie dir doch an, die Entscheider, alles gebrochene Haltungen. Kaum haben sie angefangen dieses Spiel zu spielen, sind sie schon seine Diener. ... Und dann nennen sie es Vernunft. Aber Vernunft ist Angst. Besser du verschenkst dich, wie du bist."


Höhepunkt des Stücks ist ein "Manifest" im dritten Akt, das der Kapitän auf dem Marktplatz ausruft. Das erinnert ein wenig an Luther. Oder an einen Narren in Christo ... Das Geld und die Grenzen und die Ehe und … will er auch entmachten.


Da begegnet er auf der Straße zwei ehemalige Kommilitonen. Sie waren früher engstens befreundet und teilten das gemeinsame Weltbild und die Ansichten darüber, wie man sein Leben sinnvoll und erfüllt leben sollte. Diese Verbundenheit gibt es nun offensichtlich nicht mehr. Die beiden, Sascha und Lucian, brachen "die Reise" ab und segeln nun wieder im "konventionellen Fahrwasser" des gesellschaftlichen Mainstreams. ("... Irgendwann müssen wir auch unsere Miete bezahlen.")

Sie besuchen eine Kneipe, reden miteinander und merken schnell, dass sie kaum noch etwas anderes miteinander verbindet, als ihre Erinnerungen an ein paar Jahre gemeinsamen Weges. Der Kapitän ist enttäuscht. Sie gehen auseinander und der Held hält Rückschau. Ziemlich sentimental und elegisch. Bei der Aufführung auf der Waldbühne in Benneckenstein illustrierten eine LED-Wand die "Geister der Vergangenheit" bzw. der "Geist der Annäherung, die Weisheit des Alters". Die prosaisch spielerische Handlung wird unterbrochen bzw. fortgeführt mit Liedspiel. Hier ist Prosa in seinem Element: Lyrik vom Feinsten. Wenn er aber dazwischen spielt, liest es sich so (und so war es wohl auch beim echten Theaterspiel), als deklamiere er ständig. Für Uneingeweihte wirkt das zu pathetisch, schwülstig, ja lebensfremd und in seiner innewohnenden Bewertung der Welt ringsum ... letztlich doch fast schon sanft-arrogant.

So schreibt ein Kritiker: "Was im intimen Club funktionieren mag, das läuft auf der großen Bühne ins Leere. ... trägt nicht ein ganzes Abendprogramm" (harzerkritiker).


"Kein richtiges Leben im falschen" ... Es liest sich so wehklagend depressiv, rhetorische Fragen stellend, aber keine geistreichen Antwortmöglichkeiten anbietend. Derselbe Kritiker trifft - nun im Nachgang - genau meinen Eindruck: "Es scheint, als ob die Generation Klettverschluss kaum der Pubertät entronnen schon in der Midlife-Krise angekommen ist."


Dabei zeichnet Prosa kein romantisches Bild des Aussteigers "Kapitän": Dieser rudert in der Sackgasse herum, während seine Ex-Freunde immerhin im seichten Mainstream langsam vorwärts dümpeln.

Dennoch endet das Stück vorsichtig zuversichtlich: Einer der Freunde, Lucian, kehrt zu ihm zurück ("Ich bin nicht vom Fleck gekommen. Ich habe dir wohl zu gut zugehört.") Da sind sie schon einmal zu zweit ... Und der Kapitän berechnet einen neuen Kurs: Weg-Korrektur aufgrund gemachter Erfahrungen. So sollte es doch sein! Die Reise geht weiter.


Auf der Bühne 2018 war dem Stück wohl kein großer Erfolg beschieden. Ihr sei "schnell der Wind ausgegangen", heißt es beim o.g. "harzkritiker". Man ahnt warum. Nicht nur wegen des altertümlich formulierten, weltfremd erscheinenden Inhalts. Die YouTube-Trailer zu den Proben zeigen die Art des Schauspiels. Max Prosa spielt so, wie er auch auf Konzerten auftritt: pathetisch, shakespeare-haft manieriert, klanglich sentimental im exaltierten Singsang. Der Wortgebrauch ist alles andere als „normal“. Wer ihn kennt, weiß, dass dies für Prosa authentisch ist. Und es ist auch authentisch für die Figur des Kapitäns: sympathisch - aber seltsam verschroben. Prosa spielte selbst den Kapitän und seine musikalischen Mitstreiter Sascha Stiehler (mit dem er immer noch durch die Lande tourt) und Lucian Patermann die anderen beiden Rollen.


Auf YouTube findet man also wenige und wenig besuchte Trailer zum Theaterstück – zudem mit gleichfalls wenigen Kommentaren. Eine kurzer von @silversecret82 erschien mir bestürzend passend: "Er ist nicht frei, er ist bitterlich auf der Suche." Und da die Person des Kapitäns ganz offenkundig sehr eng verbunden ist mit der Persönlichkeit Max Prosas, bezieht sich diese Einschätzung dann wohl auch auf Max Prosa ... Das macht nachdenklich.


Obwohl ich das Stück in seiner Art und Aussage als eher befremdlich empfinde, enthält es viele so schöne Verse. In Liedform, für sich allein stehend, regen sie mich zum Innehalten und Nachdenken an. Für ein ganzheitliches Weltbild oder für eine Bewältigung des Alltags halte ich sie in dieser Gebündeltheit des Buches für ... untauglich. So fremd, dass sie traumartig erscheinen ... und dort (im Traum) auch verbleiben.


Kostproben:


"Dort drüben haben sich zwei etwas zu sagen / Und finden keine Gründe es zu wagen / Ein Dritter redet wie ein Wasserfall / Einsamkeit, ich find ich überall."


Geäußert vom Geist des weisen Alterns:

"Diesen anderen war ich egal. Du hingegen wütest gegen mich. Das war schon immer ein Zeichen der Liebe."


Über einen abschiedslos verlorenen Freund:#

"Von wie vielen Leuten verabschiedet man sich eigentlich im Leben? Wäre doch schön, rührend sogar, würden wir sagen: 'Das ist das Ende unserer Überschneidungen in der Zeit. Die Welt bringt uns nie wieder zusammen.' Aber stattdessen verlieren wir uns einfach. Wir hinterlassen Spuren, verlorene Spuren, die eine Weile lang kreisen, aber meistens auseinanderlaufen. Denn so gut wir auch zueinander passen, treffen wir doch nur selten zur richtigen Zeit aufeinander."

(Das ist schon wieder fast tröstlich … und befriedet die Seele etwas.)


Zu seiner großen aber verlorenen Liebe Marie:

"Marie! Komm, ich tue mich wieder an deine Seite ... Aber ja, sie ist noch da. Wir sind noch da. Es liegen nur ein paar fehlgeleitete Jahre dazwischen. Ich kann mich aufmachen und das Schicksal gerade rücken."

(Manchmal mögen es ein paar fehlgeleitete, mit Illusionen verkleisterte Monate gewesen sein … Warum nicht versuchen, es erneu(er)t zu versuchen? Verständiger und liebevoller, also „besser“ zu machen?)


Über Landkarten, also z.B. im Sinne von Weltanschauungen:

"All eure Karten sind falsch / Sie wurden gefälscht / Damit man glaubt, dass die Welt / sich an ein Regelwerk hält."


Aus dem Manifest:

"Wir wollen eine Gemeinschaft sein und dabei helfen, die Fixiertheit von zwei Menschen aufeinander aufzuheben, denn ein Mensch kann nie genug sein, um ein anderes Leben zu tragen."

Das ist schon merklich, wie vehement der Kapitän die Institution der Ehe kritisch sieht, für eine neue, weiter gefasste Form der "Familie" eintritt.


"Lasst uns die Adjektive vergessen, mit denen wir uns eingerichtet haben, und unbeschriebene Blätter werden. Denn so, wie die Alten dich jung nennen und die Jungen dich alt, werden die Leisen dich laut nennen und die Lauten dich leise. Du allerdings wirst gebraucht, wie du bist und nicht anders."


Als ein Träumer scheitern am "Bösen", an den Realitäten dieser Welt?

"Wir wachsen doch an unseren Fehlern, an allem Schlechten, was passiert und dadurch nicht eigentlich schlecht ist. 'Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.'"


"Manchmal bleibt nur die Enklave / Der eignen Phantasie / Denn dorthin kommen sie nie. Tragt nur euer Leben / In die totgesagte Welt ... / Manchmal ist's als wär's ein Kuss / Schlechte Tage kommen und gehen / Doch unsre Liebe ist ein Zelt / Auf das der graue Regen fällt."


Mich besonders berührend: Lasst uns Träumer und vermeintlichen "Freaks" doch einander erkennen und zusammentun, und einander aushalten, ja beistehen und anspornen:

"Doch die, die anders leben wollen, sollen nicht zersplittert sein. ... Sie sollen wissen, dass sie einander haben. Denn eines ist doch sicher: Was auch immer du willst, es gibt sicherlich diejenigen in dieser großen weiten Welt, die dasselbe wollen, du musst sie nur finden und dich zeigen. Das ist vielleicht das schwierigste daran."


Ich mag Max Prosa lieber als Lyriker und Sänger. Als Autor dieses Werkes überzeugt er mich nicht so sehr – trotz großen Wohlwollens!